FTX: Was bedeutet das Aus der Kryptobörse für die Branche? (2024)

Die Insolvenz der Bitcoin-Börse FTX wirft grundsätzliche Fragen über die Zukunftsfähigkeit der Krypto-Branche auf.

Eflamm Mordrelle, Lorenz Honegger

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Wie oft bei grossen Betrugsskandalen hatte sich auch der Kollaps des Krypto-Imperiums von Sam Bankman-Fried abgezeichnet – wenn man genau hingesehen hätte. Die Liste der Missstände bei FTX ist lang. Fast alle Beteiligten haben versagt: in erster Linie Bankman-Fried, seine Geschäftspartner, aber auch Investoren, Regulatoren und die FTX-Kunden. Ein Erklärungsversuch des Debakels in neun Fragen.

1. Was ist die Geschichte der Krypto-Börse FTX und ihrer Schwestergesellschaft Alameda Research?

Der Amerikaner Sam Bankman-Fried war keine 30 Jahre alt, als er im Mai 2019 in Kalifornien die Krypto-Börse FTX mit einem chinesischen Geschäftspartner gründete. Auf dem Höhepunkt im Jahr 2021 spekulierten bei FTX über eine Million Kunden mit Kryptowährungen. Dem auf den Bahamas ansässigen Unternehmen wurde von Investoren zeitweise ein Wert von über 30 Milliarden Dollar beigemessen.

FTX arbeitete von Beginn weg eng mit der Handelsfirma Alameda Research zusammen, welche Bankman-Fried zwei Jahre davor gegründet hatte. Als Schwestergesellschaft von FTX verdiente Alameda Geld mit komplexen und oft riskanten Spekulationsgeschäften am Krypto-Markt und fungierte als sogenannter Liquiditäts-Provider für FTX.

2. Warum ist FTX kollabiert?

Vieles über den Absturz von FTX ist erst in Umrissen bekannt. Die Verbandelung zwischen FTX und dem Handelshaus Alameda Research war einer der Hauptgründe, weshalb die Krypto-Börse zum Ziel eines «Bankensturms» wurde und wenig später Konkurs anmelden musste.

Laut heutigem Wissensstand lieh FTX ihrer Schwestergesellschaft zehn Milliarden Dollar an Kundengeldern, um riskante Spekulationsgeschäfte durchzuführen. Offenbar haben sich Bankman-Fried und seine Mitstreiter auch persönlich Kredite in Milliardenhöhe genehmigt.

Erste Medienberichte über zweifelhafte Geschäftspraktiken bei FTX und Alameda Research tauchten bereits im September auf. Am Ende war es aber ein kurzer Bericht des Branchenportals Coindesk Anfang November, der eine Kettenreaktion auslöste.

Coindesk hatte die Bilanz von Alameda Research zugespielt bekommen, welche darauf schliessen liess, dass FTX und ihre Schwestergesellschaft finanziell viel schlechter dastehen, als Bankman-Fried die Öffentlichkeit glauben liess. Demnach befanden sich auf der Aktivseite der Alameda-Bilanz unüblich hohe Bestände des FTX-eigenen Krypto-Tokens FTT, womit die eigenen Handelsaktivitäten besichert oder gehebelt wurden. Aus Sicht von Branchenbeobachtern war das ein Klumpenrisiko, das im traditionellen Finanzwesen aus regulatorischen Gründen nicht entstehen könnte.

Ein Tweet des CEO der Konkurrentin Binance, Changpeng Zhao, liess die Unruhe am Markt ausser Kontrolle geraten: Die Konkurrentin von FTX kündigte an, ihre ganzen Bestände an FTT-Tokens auflösen zu wollen. In der Folge zogen FTX-Kunden innert weniger Tage Vermögen im Gegenwert von mehreren Milliarden Dollar ab. Schliesslich blockierte die zahlungsunfähig gewordene Plattform sämtliche Bezüge.

Bankman-Fried versuchte noch, sein implodierendes Imperium zu retten. Doch er fand keine Geldgeber, die das Konstrukt übernehmen wollten. Am 11.November meldeten FTX und Alameda Research Konkurs an. Der CEO Bankman-Fried trat von all seinen Funktionen zurück. Hunderttausende FTX-Kunden müssen um ihr auf der Plattform hinterlegtes Vermögen bangen.

Die Kettenreaktion, die zum FTX-Kollaps führte

FTX: Was bedeutet das Aus der Kryptobörse für die Branche? (2)

NZZ / sro.

John Ray, der im Rahmen des Konkursverfahrens als CEO von FTX fungiert, gab bei einer Gerichtsanhörung am Donnerstag zu Protokoll, er habe in seiner vierzigjährigen Karriere «noch nie ein derartiges Versagen der Unternehmenskontrolle und ein derartiges Fehlen vertrauenswürdiger Finanzinformationen gesehen, wie es hier der Fall war». Der Jurist Ray ist bekannt für seine Rolle als Liquidator im Nachgang zum Betrugs- und Bilanzskandal um den Energiekonzern Enron Anfang der 2000er Jahre.

3. Welche Rolle spielte der Krypto-Guru Sam Bankman-Fried?

SBF, wie er in der Krypto-Szene genannt wird, war als Gründer das öffentliche Gesicht von FTX. Sein Guru-haftes Auftreten in T-Shirt und kurzen Hosen trug viel zum Rockstar-Image der Plattform bei. FTX schaltete Werbespots am Superbowl mit Auftritten von Sport- und Hollywood-Stars, sicherte sich die Namensrechte an einem Football-Stadion und wurde zu einem der grössten Geldgeber für die Demokratische Partei.

Als im Zuge der Zinswende die Kurse vieler Kryptowährungen unter Druck und zahlreiche Krypto-Firmen in geschäftliche Probleme gerieten, spielte Bankman-Fried Retter in der Not und sprang als «Lender of Last Resort» ein. Was ihn vom Rest der Branche abhob, war auch sein Engagement in Washington D.C. für eine stärkere Regulierung des Krypto-Marktes.

Viele Krypto-Anleger beschuldigen SBF mittlerweile, ein Betrüger zu sein. Derzeit hält er sich auf den Bahamas auf. In einem Interview über SMS mit einer Journalistin des US-Online-Portals Vox räumte er kürzlich ein, dass seine Bemühungen für mehr Regulierung «im Wesentlichen PR» gewesen seien. In diesem Licht erscheint sein Engagement für «effektiven Altruismus» ziemlich unglaubwürdig.

Noch ist unklar, in welchem Ausmass Bankman-Fried auch persönlich für den Niedergang von FTX zur Rechenschaft gezogen werden kann. Laut Medienberichten sind die US-Strafverfolgungsbehörden mit den Behörden auf den Bahamas im Gespräch über eine Auslieferung.

4. Haben FTX-Kunden eine Chance, ihr Geld wiederzusehen?

Die Chancen sind schlecht. Sollte etwas zu holen sein, werden Geschädigte Jahre auf Geld warten müssen. Gemäss Quellen sind mindestens 1 bis 2 Milliarden Dollar an Kundengeldern direkt «verlorengegangen». Darin ist das Defizit in Höhe von 8 Milliarden Dollar nicht eingerechnet, welches Alameda Research durch ihre Handelsaktivitäten eingefahren haben soll. Die Verlustsumme für Kunden und Investoren dürfte mehrere Milliarden Dollar betragen.

Die Abwicklung wird dadurch erschwert, dass Feststellung und Abgrenzung betroffener Vermögen schwierig sind, weil vertrauenswürdige Finanzinformationen fehlen. Zudem erstrecken sich die Aktivitäten von FTX über ein Firmengeflecht von rund 130 Gesellschaften, die über mehrere Jurisdiktionen in den USA, in der Karibik, in Europa und Asien verteilt sind. In jedem Land, wo Insolvenz beantragt wird, kommen eigene Verfahren zur Anwendung. Anleger, die über eine grössere Schweizer Krypto-Plattform investiert sind, scheinen bis jetzt weitgehend verschont geblieben zu sein.

5. Welche Krypto-Anbieter könnten als Nächstes fallen?

In der Woche nach dem FTX-Kollaps wurde bekannt, dass weitere Plattformen wie BlockFi, Crypto.com Galaxy Digital, Genesis Trading, Multicoin und andere bekannte Namen auf der ehemals viertgrössten Handelsplattform FTX engagiert waren. Sie taten dies jedoch in stark unterschiedlichem Ausmass. BlockFi und Genesis haben Geldabzüge ihrer Kunden unterbunden, neue Insolvenzen wurden bisher aber nicht bekannt. Das könnte sich in den kommenden Tagen und Wochen ändern.

Konkurrenten wie Binance oder Coinbase scheinen nicht unmittelbar bedroht, selbst wenn ihre «Kapitalpolster» wie bei FTX aus digitalen Assets bestehen, deren Werthaltigkeit umstritten ist. Binance beruft sich auf die Tatsache, dass rund ein Drittel der Assets in sogenannten Stable Coins gehalten wird. Deren Wert ist an eine reguläre Währung wie den Dollar angebunden. Der eigene Token, den Binance herausgibt, BNB, wird gemäss dem Binance-Chef Changpeng Zhao nicht als Besicherung für den Eigenhandel verwendet und abseits der Bilanz gehalten. Andere Anbieter, die eigene Token herausgeben, setzen diese ähnlich wie FTX auf der Aktivseite ihrer Bilanz ein.

Nicht in ihrer Existenz bedroht, aber dennoch geschädigt sind die Wagniskapitalgeber, die in der Hype-Phase in FTX investiert haben. Unter diesen Investoren befinden sich prominente Namen wie der Staatsfonds von Singapur, Temasek, sowie private Grossinvestoren wie Cornerstone, Sequoia oder Softbank. Sie werden ihre Investitionen in FTX wohl grossteils abschreiben müssen.

6. Zieht der Krypto-Markt den Finanzmarkt in den Abgrund?

Bis jetzt gibt es keine Hinweise auf ein Übergreifen der Turbulenzen im Krypto-Markt auf den regulären Kapitalmarkt. Das lässt sich auch an den unterschiedlichen Marktentwicklungen ablesen. Während der Bitcoin im Gefolge des FTX-Kollapses abstürzte und in den vergangenen vier Wochen rund einen Fünftel seines Werts verlor, setzten die Aktienmärkte ihren aktuellen Aufwärtstrend fort.

Die Ansteckungsgefahr dürfte sich auf den Krypto-Markt beschränken, was auch mit der überschaubaren Grösse des Marktes zu tun hat. Die Marktkapitalisierung des Krypto-Markts wird auf rund 874 Milliarden Dollar geschätzt, was im Vergleich nur rund 2 Prozent des US-Aktienmarkts entspricht. Es gibt auch nur wenig Schnittstellen zwischen den beiden Märkten. Eine direkte Verbindung gibt es über Stablecoins, die durch traditionelle Währungen abseits der Blockchain besichert sind.

7. Kann man sicher in Kryptowährungen investieren?

Sicherheit ist im Krypto-Markt ein seltenes Gut. Die handelbaren Coins und Token sind schwer zu bewerten und hohen Kursschwankungen unterworfen. Bei den unregulierten Handelsplätzen gehören mangelhafte Risikoprozesse sowie kriminelle Aktivitäten wie Hackerangriffe, Betrügereien und Diebstahl zum Alltag. Das hat der Fall FTX Anlegern in Erinnerung gerufen und bei zentralisierten Handelsplattformen wie Binance, Coinbase oder Kraken jüngst zu Abflüssen geführt.

Die abgezogenen Vermögen fanden ihren Weg in weniger risikoreiche Produkte wie Krypto-ETF oder ETP: Diese bündeln mehrere Kryptowährungen zu einem handelbaren Fonds. Dort kam es gemäss einer Auswertung der UBS in der vergangenen Woche zu Zuflüssen. Ein substanzieller Teil davon wird jetzt privat verwahrt oder wurde in den herkömmlichen Kapitalmarkt, etwa in Gold, verschoben.

Der Zusammenbruch von FTX hat die systemische Schwäche zentralisierter Krypto-Börsen aufgezeigt. Diese widersprechen im Kern dem Prinzip der dezentral organisierten Blockchain. So erhielten in diesem Monat sogenannte dezentral organisierte Krypto-Börsen wie Uniswap oder Pancakeswap Auftrieb. Bei diesen dezentral organisierten Börsen bleiben die Kunden im Besitz der Wallets. Auch profitieren dürften Handelsplätze, die von einem regulierten Vermögensverwalter oder einer lizenzierten Bank betrieben werden.

8. Wird die Regulierungsschraube weiter angezogen?

Ja. Die Rufe nach strengerer Regulierung kommen von allen Seiten. Sogar der bisher regulierungskritische Chef der grössten Krypto-Börse Binance, Changpeng Zhao, spricht sich für neue Regeln aus. Die USA dürften als erstes Land die Schraube enger ziehen. Ein neues Krypto-Gesetz, das derzeit im US-Kongress verhandelt wird, dürfte nun um einiges schärfer ausfallen. In der Schweiz werden es Anbieter, die sich selbst regulieren, schwerer haben. Kontrolle durch die Aufsichtsbehörde Finma dürfte sich als Mindeststandard etablieren.

Die Branche selbst wird auch aktiv. So werben einige Anbieter für ein «Proof of Reserves»-Verfahren, also für den Nachweis von Reserven. Einige Plattformen wie Kraken haben dieses bereits eingeführt und unterziehen sich halbjährlich einer kryptografischen Buchführung, die durch externe Auditoren geprüft wird.

9. Hat der Krypto-Markt eine Zukunft?

Die Krypto-Welt wurde durch den FTX-Kollaps in ihren Grundfesten erschüttert. Verschwinden werden Kryptowährungen deswegen nicht. Die Konsolidierung der Branche wird sich derweil beschleunigen. Weitere Anbieter dürften insolvent, andere aufgekauft werden. Künftig werden Investoren in Krypto-Startups genauer hinschauen. Zudem steht wegen der höheren Zinsen weniger Kapital für den Sektor zur Verfügung. Das wird für viele schuldenfinanzierte Anbieter bei der nächsten Finanzierungsrunde zum Problem werden.

Grosse und kleine Investoren werden zudem regulierte Krypto-Anbieter bevorzugen. Doch die Zweitrundeneffekte der FTX-Pleite wie strengere Regulierung, forcierte Professionalisierung, kritischere Investoren und Förderung dezentraler Geschäftsmodelle dürften die Flurbereinigung voranbringen und dem Krypto-Sektor letztlich zugutekommen.

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Eflamm Mordrelle

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